Nation
Arndt und die Nation
Der Patriot
Ernst Moritz Arndt ist in der heutigen Zeit neben seinem Engagement um die Abschaffung der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen vor allem auch für seine Verdienste um die Herbeiführung der Deutschen Einheitsbewegung bekannt.
Fühlte sich der in Groß-Schoritz auf Rügen geborene zunächst als Schwede (denn Rügen war damals Schwedisch), so wandelte sich dieses Bild im Laufe der Zeit nicht zuletzt aufgrund der napoleonischen Bedrohung zusehends und er begann sich mehr und mehr als Deutscher zu begreifen und zu fühlen.1
Gerade im Zuge der Napoleonischen Fremdherrschaft befasste sich Arndt mit der Frage, wie denn die Deutschen unabhängig von Frankreich vereint in Frieden und Freiheit leben könnten.
Wenngleich es ihm hauptsächlich um das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen ging, so sprach er dies auch allen anderen Völkern zu:
„Freie Staaten und Völker sollen nach Gottes Willen unabhängig gegenüber stehen. (…)
Frei mag der Pole, der Ungar, der Italiener und der gleichnamige Franzos, frei mögen jenseits des Meeres die Britischen und skandinavischen Brüder wohnen. Wir gönnen jedem gern, was wir selbst glücklich haben.“2
Über das Vaterland und Patriotismus schreibt er unter anderem:
„Der Gedanke des Vaterlandes erwächst aus dem Gefühl, dass wir alle Bürger sind mit gleichen Rechten und Pflichten, dass, weil jeder arbeiten, wirken, erwerben, genießen darf nach dem Maß seiner Kräfte, jeder auch sich darstellen und hingeben muss für den heiligen Dienst.“3
Somit fordert Arndt mit diesen Worten, die in der Schrift Der Bauernstand, politisch betrachtet zu finden sind, unveräußerliche Menschen- und Bürgerrechte, er möchte den Dritten Stand mit dem Adel gleichstellen, ihm gegenüberstellen, wie es zum Beispiel in Schweden üblich war.
Und im Geist der Zeit Teil 2 schreibt er zur Vaterlandsliebe:
„Wir wollen durch die Bürgerschaft zu höherer Menschlichkeit; darum müssen wir unser Volk und unser Vaterland lieben… Das ist die höchste Religion, zu siegen oder zu sterben für Gerechtigkeit und Wahrheit, zu siegen oder zu sterben für die heilige Sache der Menschheit, die durch alle Tyrannei in Lastern und Schanden untergeht; das ist die höchste Religion, das Vaterland lieber zu haben als Herren und Fürsten, als Väter und Mütter, als Weiber und Kinder.“4
Die Staatsidee, die er im romantischen Sinne vertrat, formulierte er wiefolgt:
„Gleichheit und Gerechtigkeit in Liebe und Mitleid mit allen Lebendigen, ihr seid die erhabenen Lehren des heiligen Stifters des Christentums, ihr müsst die Gesetze der Staaten und Völker sein.“5
Arndts Verhältnis zu Frankreich
Im Zuge der napoleonischen Fremdherrschaft wurden seine Äußerungen Frankreichs gegenüber deutlich aggressiver. So forderte er in der Schrift „Über den Volkshass und den Gebrauch einer Fremden Sprache“ einen „brennenden, glühenden Hass auf die Franzosen“, den er sich für immer wünschte.
Solche Sätze muten in unserer heutigen Zeit äußerst befremdlich an, schließlich pflegen wir glücklicherweise beste Beziehungen zu Frankreich.
Allerdings bedarf es zum Verständnis solcher Zeilen des Hintergrundwissens um den napoleonischen Russlandfeldzug.
Zunächst wurde Napoleon als Befreier von Unterdrückung und Knechtschaft, vor allem im Rheinland, gefeiert, schließlich führte er den Code Civil, das Bürgerliche Gesetzbuch, dass im Zuge der Französischen Revolution 1789 eingeführt wurde, mit ein.
Andererseits war Napoleon, und das wird heute auch oftmals vergessen, kein Befreier und erst Recht kein Vertreter des revolutionären Bürgertums. Er war in erster Linie Monarchist. Nicht ohne Grund ließ er sich 1804 zum Kaiser krönen.
Frankreich ist zum Beginn des 19. Jahrhunderts die vorherrschende Kontinentalmacht Europas geworden, von der eine ständige Bedrohung ausging. So zogen napoleonische Heere nicht nur gegen Deutsche Staaten, sondern auch gegen Russland, Polen, Schweden, Großbritannien, die Niederlande, Schweiz, Italien und Spanien.
Somit ist von den Gedanken der Französischen Revolution, die ja auf den Ideen von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ beruhen, von dem weltoffenem Denken nicht mehr viel übrig geblieben. Schließlich lässt sich ein imperialer Angriffskrieg kaum mit den Werten der Revolution von 1789 vereinbaren.
Im Zuge der Herrschaft Napoleons wurden die deutschen Staaten, insbesondere die Rheinbundstaaten zu Vasallenstaaten Frankreichs und die linksrheinischen Gebiete wurden gänzlich annektiert.
Das Königreich Westphalen und die Großherzogtümer Berg und Frankfurt wurden zu einer Art Satellitenstaaten, in denen die Herrscher von Napoleon eingesetzt wurden.
Der Rheinbund war für Napoleon wiederum von besonderer strategischer Bedeutung.
So waren die Mitglieder des Rheinbundes verpflichtet, für den Verteidigungsfall starke Militärkondingente zu stellen.
Auf dem Höhepunkt des Rheinbundes stellten die Deutschen Fürsten 120.000 Mann, die allerdings faktisch für den napoleonischen Russlandfeldzug dienten.
Bei den Rheinbundstaaten handelte es sich somit nicht um unabhängige Staaten, die mit dem napoleonischen Frankreich verbündet waren, sondern um direkt von Frankreich abhängige Staaten. Die freiheitlichen Rechte kamen in den Vasallenstaaten kaum zur Geltung.
Es war sogar durchaus das Gegenteil der Fall.
So nahm zum Beispiel Friedrich I. von Württemberg die bereits umgesetzten liberalen Reformen zurück und errichtete ein System despotischer Willkür.
Des weiteren herrschte in den von Frankreich besetzten Gebieten und den Vasallenstaaten eine Geheimpolizei und jegliche verfasste Schriften mussten die Zensur durchlaufen.
Somit waren weder Meinungs- noch Pressefreiheit gewährleistet.
Des weiteren wurde die Unschuldsvermutung aufgegeben. Wer für schuldig befunden wurde, musste von nun an selbst beweisen, dass er unschuldig sei, wenn ihm dies nicht gelang, dann wurde er, auch wenn er unschuldig war, verurteilt.6 In modernen Staaten ist es hingegen üblich, dass derjenige der einem eine Straftat vorwirft zu beweisen hat, dass er eine Straftat begangen hat. Dieses moderne Recht wurde zu jener Zeit hingegen ausgehebelt.
Im Zuge dieser napoleonischen Unterdrückung, die während des Feldzuges unter anderem Plünderungen, Vergewaltigungen usw. zur Folge hatten, baute sich eine Widerstandshaltung gegen Frankreich und gleichzeitig ein Nationalgefühl auf. Es waren nicht mehr nur „Preußen“, „Österreicher“, „Schwaben“, „Pommern“, „Bayern“ oder „Sachsen“, die gegen Frankreich zogen, sondern „Deutsche“, die sich gegen Frankreich wehrten.
Wenngleich Württemberg, Bayern und Sachsen dem Rheinbund angehörten, so wurde von Preußen ausgehend eine „Landwehr“ ins Leben gerufen, deren Soldaten aus bäuerlichen Verhältnissen, Zünften und patriotischen Bürgern bestanden. Einer der bekanntesten Landwehrsoldaten, die umgangssprachlich auch als „Lützower Jäger“ bezeichnet wurden, war der sächsische Dichter Theodor Körner, der ebenfalls durch seine Befreiungslyrik bekannt wurde.
Arndt als Förderer und Vordenker der Deutschen Nationalbewegung
Studentenzug auf dem Weg zum Wartburgfest. Arndt unterstützte die
Burschenschaftsbewegung, die die nationale Einheit und Demokratie zum Ziel hatte.
Arndt wiederum unterstützte diese Nationalbewegung vor allem mit seinen Gedichten, so schreibt er zum Beispiel im Vaterlandslied:
„Der Gott der das Eisen wachsen ließ,
der wollte keine Knechte,
drum gab er Säbel Schwert und Spieß,
dem Mann in seine Rechte.
Drum gab er ihm den kühnen Mut,
Den Zorn der freien Rede,
Dass er bestände bis aufs Blut,
bis in den Tod die Fehde
So wollen wir, was Gott gewollt,
Mit rechter Treue halten
Und nimmer im Tyrannensold
Die Menschenschädel spalten.
Doch wer für Tand und Schande ficht,
Den hauen wir zu Scherben,
Der soll im Deutschen Lande nicht
Mit Deutschen Männern erben.
O Deutschland, heil’ges Vaterland!
O deutsche Lieb und Treue!
Du hohes Land! Du schönes Land!
Dir schwören wir aufs neue:
Dem Buben und dem Knecht die Acht!
Der füttre Krähn und Raben!
So ziehen wir zur Hermannsschlacht
Und wollen Rache haben.
Lasst brausen, was nur brausen kann,
In hellen lichten Flammen,
Ihr Deutschen alle, Mann für Mann,
Fürs Vaterland zusammen!
Und hebt die Herzen himmelan
Und himmelan die Hände,
und rufet alle Mann für Mann:
Die Knechtschaft hat ein Ende!
Lasst wehen, was nur wehen kann,
Standarten wehn und fahnen!
Zum Heldentode mahnen:
Auf! Fliege stolzes Siegspanier,
Voran den kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
Den süßen Tod der Freien.
Kaum ein Gedicht strotzt so sehr nach dem Drang der Befreiung eines Volkes von einer Fremdherrschaft wie dieses. Für uns wirkt es selbstverständlich teilweise abschreckend, gerade dann, wenn Arndt „Rache haben“ will, Rache für die Unterdrückung.
So finden sich in seinen Schriften und Gedichten unter anderem auch Forderungen nach einem Weiterzug der Deutschen nach Frankreich (eben um sich zu rächen, bzw. aus dem Rachegedanken heraus, dass den Franzosen das selbe zu widerfahren hat, wie den Deutschen unter den Franzosen – Frei nach dem Motto „Aug um Aug – Zahn um Zahn“).
Gewiss können wir solche Zeilen in unserer heutigen Zeit nicht mehr nachvollziehen. Schließlich haben wir aus der Vergangenheit gelernt und uns geistig-moralisch weiterentwickelt.
Franzosenfeindlichkeit findet sich auch in anderen Zeilen Arndts, so in dem lange Zeit als inoffizielle Hymne der Deutschen geltendem „Was ist des Teutschen Vaterland“ (1813):
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Preußenland, ist’s Schwabenland?
Ist’s wo am Rhein die Rebe blüht?
Ist’s wo am Belt die Möwe zieht?
O nein! Nein! Nein!
Sein Vaterland muss größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Bayernland, ist’s Steierland?
Ist’s wo des Marsen Rind sich erstreckt?
Ist’s wo der Märker Eisen reckt?
O nein! Nein! Nein!
Sein Vaterland muss größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Pommernland, Westfalenland?
Ist’s wo der Sand die Dünen weht?
Ist’s wo die Donau brausend geht?
O nein! Nein! Nein!
Sein Vaterland muss größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Ist’s Land der Schweizer, ist’s Tirol?
Das Land und Volk gefiel mir wohl;
Doch nein! Nein! Nein!
Sein Vaterland muss größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Gewiss ist es Österreich,
an Ehren und an Siegen reich?
O nein! Nein! Nein!
Sein Vaterland muss größer sein.
Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
So weit die Deutsche Zunge klingt,
Und Gott im Himmel Lieder singt,
Das soll es sein!
Das, wackrer Deutscher, nenne dein!
Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Eide schwört der Druck der Hand,
Wo Treue hell vom Auge blitzt
Und Liebe warm im Herzen sitzt –
Das soll es sein!
Das wackrer Deutscher nenne dein!
Das ganze Deutschland soll es sein!
O Gott vom Himmel, sieh darein
Und gib uns rechten Deutschen Mut,
Dass wir es lieben treu und gut
Das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll es sein!
Solche Zeilen trafen im 19. Jahrhundert den Nerv der Deutschen, die sich zunehmend als eine Nation zu begreifen begannen und nicht mehr nur als Sachsen, Schwaben, Bayern, Preußen oder Pommern.
Zu diesen Zeilen muss noch angemerkt werden, dass zu jener Zeit am Belt noch Deutsche lebten und in Belgien (wie übrigens auch heute noch) Deutsche leb(t)en.
Für Arndt sollte das Deutsche Vaterland überall da sein, wo auch Deutsche leben.
Somit sollten eben auch die Schweiz, die Niederlande oder Belgien zum Deutschen Vaterland gehören.
Obwohl er im Geist der Zeit Teil II jedem Volk das Selbstbestimmungsrecht zuspricht, und Arndt in den „Fragmenten für Menschenbildung“ sagt, dass
„… alles Menschliche höher (zu) achten (sei) als das Vaterland.“
so konnte er diesem Grundansatz selbst nicht immer gerecht werden. So prallen in der Frage um Belgien oder um die Niederlande, in der Frage um „Posen und die Polen“7 Patriotismus und Menschlichkeit aufeinander und für Arndt stand in all diesen Fragen immer das Vaterland höher, als die Menschlichkeit. Somit konnte er, was er selbst auch im Alter bekannte, seinen Ansprüchen selbst nicht in jedem Fall gerecht werden.
Sein nationalistisches Denken drückt sich aber besonders radikal und alles andere als lobenswert in der Schrift „Über den Volkshass und Gebrauch einer Fremden Sprache“ aus.
In dieser geht Arndt von der Grundannahme aus, dass die Sprache ein Spiegel des Volkes sei.8 Im folgenden bewertet er nun die Deutsche Sprache und zieht darin einen Vergleich zur französischen Sprache. Darin kommt Arndt nun zu dem Schluss, dass die Deutsche Sprache höher, besser und edler sei, als die Französische, weil die Deutschen eben noch ein „ursprüngliches Volk“, das noch nicht „verbastardet“ sei, seien.
Mit diesen Aussagen bekommt die Schrift einen besonders starken biologistischen Einschlag, dass heißt, er argumentiert an dieser Stelle bereits rassistisch.
Dennoch ist sich die Wissenschaft gegenwärtig noch nicht darüber einig, inwiefern Arndt bereits als Rassist in Betracht gezogen werden kann.
Doch unabhängig davon, ob Arndt nun als Rassist in Betracht gezogen werden kann oder nicht (schließlich distanzierte sich Arndt in seinen Schriften wiederum von Rassisten), so bleibt die Fremdenfeindlichkeit innerhalb seines nationalistischen Vermächtnisses nicht vorbildhaft bzw. muss abgelehnt und kritisiert werden.
Die Paulskirche – Der erste Versuch eines vereinigten Vaterlandes
1848 kam es schließlich zur Revolution in Deutschland, die Arndt begrüßte, schließlich erreichten die Deutschen im Zuge dieser „Umwälzung“ erstmalig die Einsetzung einer Nationalversammlung mit dem Ziel ein vereinigtes und frei(er)es Deutschland zu errichten.
Die Parteien waren ganz unterschiedlicher Natur. Rechtsaußen saßen die Monarchisten. Das Rechte Zentrum war von der Liberalen Partei von Gagerns besetzt, in dessen Fraktion Arndt ebenfalls Mitglied war. Diese forderte eine konstitutionelle Monarchie nach französischem und britischem Vorbild. Im Linken Zentrum saßen wiederum die Demokraten und Linksaußen die Radikaldemokraten (Sozialdemokraten, Kommunisten).
Dieser Versuch scheiterte, was Arndt bedauerte, war es doch der erste Versuch eines freieren vereinigten Deutschlands im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie.
Schlussendlich scheiterte die Revolution nicht nur für Revolutionäre wie Blum, sondern eben auch für den konstitutionellen Monarchisten Arndt.
Er war von der ablehnenden Haltung Preußens der Nationalversammlung in der Paulskirche schwer enttäuscht und kritisierte Preußen, vor allem das Fehlen weiterer Reformen zu einem freieren, gerechteren Preußens heftig in der Schrift „Pro Populo Germanico“.9
Doch nicht nur von den Hohenzollern, sondern von sämtlichen regierenden Adelsgeschlechtern zeigte sich Arndt bitter enttäuscht. So schreibt er:
„Die meisten Fürsten haben ihn (gemeint ist der Reichsmittelpunkt, Einheitsdeutschland) frei und froh begrüßt, die mächtigeren haben ihn als eine Beschränkung ihrer Herrlichkeit im blinden und übermütigen Zorn von sich gestoßen, und mit einer kühnen, oft frevelhaften Lustigkeit haben sie von den hohen und höchsten angeblasenen und begünstigten Rücktreiber und Hohnlächler die offensten und frechesten Rechtsbrüche unter dem Titel Umsturz undeutscher französischer und konstitutioneller Kinderspiele zum Gegenstand des lustigen Spotts und Gelächters gemacht. Ach! Ich fürchte, sie werden einmal sehen, worüber sie gelacht haben!“10
Dennoch hielt er auch nach dem Scheitern der Paulskirche an dem Ziel eines vereinigten Deutschlands fest. Als Vorbild für eine neue Nationalversammlung, bzw. für einen verfassten Deutschen Nationalstaat sollten die Paulskirche und die Erfurter Union (1849) dienen.11
Sein in der Schrift „Über den Volkhass und Gebrauch einer fremden Sprache“ furchtbare und zum Teil rassistische Franzosenhass ist in der Schrift „Pro Populo Germanico“ sehr stark abgeschwächt, er schreibt nun durchaus achtungsvoll über die Franzosen:
„Und wieder muss ich zu unseren nächsten Romanen, an welchen wir ihre und unsere Gebrechen am meisten erkennen können, zu den Franzosen kommen. Was hilft es? Wie viel wir uns immer zerzaust haben, und künftig noch zerzausen werden, wir können einmal politisch und menschlich voneinander nicht lassen, haben auch in jeder Beziehung viel nähere und verwandtere Gemeinschaft miteinander, als mit den Bewohnern Hispaniens.“12
Vielmehr kritisiert er nunmehr an den Franzosen ihre Wankelmütigkeit, die er an den zahlreichen Revolutionen festmacht. D.h. für ihn sind die Franzosen als Volk nicht standhaft genug. Des weiteren kritisiert er von nun an den Nationalismus der Franzosen, ihre vermeintliche „Eitelkeit“.13
Andererseits lobt er den freien Geist, die aufklärerische Haltung der Franzosen.
Es handelt sich damit nunmehr nicht mehr um einen „brennenden, glühenden Hass“14, sondern um Kritik am Fremden, bei gleichzeitiger Achtung und, was die Geisteshaltung der Franzosen anbelangt, Liebe dieses Volkes.
Und auch in seinem Gedicht „Die Rheinfahrt“, welches er ebenfalls 1851 verfasste schreibt Arndt:
„Seid stark im lieben, werdet schwach im hassen,
so wird Gott seine Deutschen nicht verlassen…“
Der Glaube an Gott spielte für Arndt im Rahmen der Nationswerdung eine zentrale Rolle.
Das ist auch nicht besonders überraschend. Schließlich setzte mit dem 19. Jahrhundert eine zunehmende Atheisierung, d.h. ein Abwenden von jeglicher Religiösität ein. Im Zuge dieser Entwicklung befürchtete Arndt den Verlust moralischer Werte und Normen und so forderte er von dem freien und selbstbewussten Deutschen:
„Sei Gott gleich! Ach das geht nicht!
So sei ein Mensch! Das steht nicht!
Schau Gott, doch nicht verwegen,
dann wird der Mensch sich legen,
um fest durch Gott zu stehen.“15
Schlussbetrachtung
Doch wie lässt sich nun Arndts Verhältnis zur Nation zusammen fassen?
Auf der einen Seite ist es patriotisch motiviert und es zeigt sich insbesondere in seinen zwischen 1810 bis 1813 verfassten Gedichten die Sehnsucht nach einem unabhängigem, souveränen, vereinigtem deutschen Vaterland.
Die bekanntesten hierfür sind das in diesem Text zitierte „Vaterlandslied“ und das Lied „Was ist des Teutschen Vaterland“. Aber auch Gedichte wie „Freudenklang“(1813), welches den Sieg über die Völkerschlacht bei Leipzig thematisiert, oder „Die Leipziger Schlacht“, aber auch „Der Waffenschmied der Deutschen Freiheit“ verkörpern dieses von Arndt energisch verfolgte Ziel nach einem vereinigtem Deutschland maßgeblich.
In dem Versepos „Blätter der Erinnerungen zumeist um und aus der Paulskirche in Frankfurt“ bringt er seine Trauer um das Scheitern dieser Revolution zum Ausdruck und stellt Robert Blum in diesem Zusammenhang als einen ehrwürdigen Streiter für die Gute Sache dar. Wenngleich er sich während einer Rede vor der Paulskirche 1848 in Rage geredet hatte, dass man die Demokraten wie „wilde Gesetzeslose Wölfe“ abzuknallen habe, so hat er sich andererseits heftig gegen die Hinrichtung Robert Blums nach der Frankfurter Versammlung ausgesprochen.16
In zahlreichen politischen Schriften stellte er Entwürfe für einen künftigen vereinigten Verfassungsstaat vor.
So zum Beispiel in „Beherzigungen vor dem Wiener Kongress“(1813), „Über künftige ständische Verfassungen in Teutschland“(1814), „Fantasien für ein künftiges Teutschland“(1815), „Pro Populo Germanico“ (1851).
Die Völkerschlacht in Leipzig steht noch bis heute für die Befreiung der unterdrückten Völker von der Napoleonischen Tyrannei.
Andererseits steigerte sich sein Patriotismus insbesondere während der Phase der Befreiungskriege in einen völkisch motivierten, fremdenfeindlichen Nationalismus mit zum Teil rassistischer Lesart hinein, der jedoch keine Beständigkeit hatte und immer nur dann wieder aufflammte, wenn er den Bestand der Deutschen Nation bedroht fühlte.
Insbesondere in „Pro Populo Germanico“ kann man bei Arndt nicht mehr von einer völkisch-nationalistischen oder gar rassistischen Motivation sprechen.
Inanspruchnahme Arndts Verhältnisses zur Deutschen Nation
Im Laufe der Geschichte wurde Arndt von zahlreichen Revolutionären, Konservativen, Liberalen, Reaktionären und Chauvinisten für sich in Anspruch genommen.17
In den letzten Wochen seines Lebens wurde Arndt schließlich die Ehrenbürgerwürde der Stadt Köln angetragen, nicht etwa, weil in seinen Texten rassistische und antisemitische Verungleisungen deutlich werden, sondern weil er „mit seiner Überzeugungskraft die linksrheinischen Länder für Deutschland gerettet habe“18 (gemeint ist damit unter anderem die Schrift „Der Rhein, Teutschlands Strom aber nicht Teutschlands Grenze“)
Insbesondere nach 1945 war Arndt auch für zahlreiche aus den Ostgebieten Vertriebene eine Identifikationsfigur, die Erinnerungen an ihre verlorene Heimat weckten.19
Zwischen 1945 und 1990 galt er über die ganze Zeit hinweg innerhalb der Bevölkerung als die Symbolfigur für die Deutsche Einheit.20
Diese Symbolträchtigkeit hatte Arndt bereits zu Lebzeiten. So ehrte die Universität Greifswald Arndt unter anderem aus diesen Gründen 1854 im Figurenprogramm des Rubenowdenkmals und als der immerhin schon 79 jährige Ernst Moritz Arndt als Alterspräsident das erste vereinigte und demokratische Parlament betrat, erhob sich die gesamte Nationalversammlung und sang ihm zu Ehren sein Lied, „Was ist des Teutschen Vaterland“.21
Unter prominenten Verehrern Ernst Moritz Arndts sind zum Beispiel Konrad Ziegler (Historiker), Friedrich Herz (Kämpfer gegen modernen Rassismus), Friedrich Engels (Unternehmer und Mitherausgeber des „Kapitals“ von Karl Marx), Robert Blum (Demokratischer Abgeordneter der Paulskirche), Franz Mehring (Sozialdemokrat) oder auch Karl Liebknecht (Kommunist) oder aber sein Fraktionskollege Heinrich von Gagern zu nennen. Selbst Heinrich Heine, Student Arndts, schätzte eine Zeit lang Ernst Moritz Arndt.22 Der „Turnvater“ Jahn, ebenfalls Student Arndts, ließ sich nachweislich von Ernst Moritz Arndt genau so inspirieren wie Hoffmann von Fallersleben.
Beim Schreiben seines „Deutschlandliedes“, von dem die Dritte Strophe heute unsere Nationalhymne darstellt, ließ er sich von Arndts „Was ist des Teutschen Vaterland“ beeinflussen.
Robert Blum äußerte sich über Arndts Verhältnis zur Nation und Revolution hingegen wiefolgt:
„Diejenigen, die da glaubten, er hasse nicht bloß die Franzosen als Unterdrücker seines Vaterlandes, sondern alles das, was an und in ihnen ist, eben weil es französisch ist und heißt; die da hofften, er werde seine Hand bieten, die freisinnigen Staatseinrichtungen zu untergraben, die man von gewisser Weise mehr verfolgte, als die Franzosen selbst, und die alles, was sie gebracht hatten, eine scheußliche Ausgeburt der Revolution schilderten, die man mit Stumpf und Stiel ausrotten müsste – diese täuschten sich zuerst, denn Arndt nimmt die Revolution selbst in Schutz.“23
Missbrauch Arndts durch die Nazis
Von Namensgegnern wird insbesondere der Missbrauch Arndts von den Nazis in den Mittelpunkt gerückt und als Grundlage für ihre Argumentation verwendet, wobei darauf verwiesen wird, dass Arndt nicht missbraucht worden wäre.
Tatsächlich wurde Arndt aber nicht von Anfang an von den Nazis in Anspruch genommen. So wurde Arndt zwischen 1930 und 1933 beispielsweise von Nazi-Studenten in Bonn zunächst als „Demagoge“ verschwiegen, bevor er „als Zeuge für die Nation als neuen Inhalt von Religion“ wieder entdeckt wurde.24
Tatsächlich handelte es sich bei Arndts Inanspruchnahme um einen Missbrauch desselben. Schließlich passen die Aussagen über den Krieg, nämlich die Ablehnung von Angriffskriegen, das Streben nach Frieden, die Ablehnung von Judenverfolgung, die Ablehnung von Rassismus (selbst wenn einige seiner Texte, Kapitel rassistischen Einschlag haben), der Einsatz für Meinungs- und Pressefreiheit, das Engagement um einen parlamentarischen Verfassungsstaat, das Recht, dass Soldaten auch Befehle verweigern können, wenn sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbar wären, oder aber das Fordern und Fördern des „Freien Geistes“ nicht ansatzweise in das Konzept der Nazis.
Insofern wurde Arndt von den Nazis missbraucht und nicht gebraucht.
Daher liegen all diejenigen, die das behaupten, mit ihrer Aussage grundsätzlich falsch.
Robert Blum
1 Tietz, Karl-Ewald: Für die Beibehaltung des Namens Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, in: Garbe, Irmfried (Hrsg.): Wortmeldungen zu Ernst Moritz Arndt, Greifswald 2010, S.3.
2 Ernst Moritz Arndt in: Gysi, Klaus (Hrsg.): Zur Literatur der Befreiungskriege, Leipzig 1954, S.62.
3 Ernst Moritz Arndt in: a.a.O., S. 55.
4 Ernst Moritz Arndt in: a.a.O., S. 62.
5 Arndt, Ernst Moritz: Geist der Zeit I, 1806, S.210.
6 Arndt, Ernst Moritz: Beherzigungen vor dem Wiener Kongress, 1814, S.
7 Siehe hierzu: Arndt, Ernst Moritz: Reden und Glossen, Frankfurt 1848.
8 Arndt, Ernst Moritz: Über den Volkshass und Gebrauch einer fremden Sprache, o.O.., 1813.
9 Arndt, Ernst Moritz: Pro Populo Germanico, 1851, S.150-155.
10 Arndt: a.a.O., S.159.
11 Arndt: a.a.O., S.158/ 159.
12 Arndt: a.a.O., S.305/ 306.
13 Arndt: a.a.O., S.308.
14 siehe dazu: Über den Volkshass und Gebrauch einer fremden Sprache
15 Arndt, Ernst Moritz: Blätter der Erinnerungen. Zumeist um und aus der Paulskirche in Frankfurt, Leipzig 1849, S.28f.
16 Staats, Reinhard: Erklärung zum Namen „Ernst Moritz Arndt Universität“ in Greifswald, in: Garbe, Irmfried (Hrsg.): Wortmeldungen zu Ernst Moritz Arndt, Greifswald 2010, S.7..
17 ebd.
18 ebd.
19 Tietz, Karl Ewald: Für die Beibehaltung des Namens Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, in: a.a.O., S.3.
20 ebd.
21 Staats, Reinhard: a.a.O., S.8.
22 siehe dazu: Hefte der Ernst Moritz Arndt Gesellschaft, Heft 3,Arndt und Heine, 1993.
23 Blum, Robert: Fortschrittsmänner der Gegenwart, Eine Weihnachtsgabe für Deutschlands freisinnige Männer und Frauen, Leipzig 1847, S.39.
24 Staats, Reinhard: a.a.O, S.8.